„Sei treu bis in den Tod;
dann werde ich dir die Krone des Lebens geben!“
(Apokalypse 2, 10)
Der Glaube der Märtyrer – Quelle des Lichts für das Leben der Kirche
Wenn eine neue Kirche nach orthodoxer Tradition geweiht wird, dann gibt es eine Prozession um die Kirche, bei der Partikel von Märtyrerreliquien mitgeführt werden, die anschließend bei der Weihe des Altars im Inneren des Heiligen Altartisches eingesetzt werden, auf dem später das heilige eucharistische Opfer Christi gefeiert wird.
Diese Praxis erinnert nicht nur daran, dass viele der frühen christlichen Kirchen über den Gräbern von Märtyrern errichtet wurden, sondern sie hat auch eine theologische Bedeutung. Die theologische und geistliche Bedeutung der Präsenz von Märtyrerreliquien im Fuß (dem Inneren) des heiligen Altartisches kommt aus der Verbindung zwischen dem Tod der Märtyrer und dem Geheimnis der Liebe Christi, die stärker ist als der Tod, dieser Liebe, die sich im Opfer Christi am Kreuz gezeigt hat, Der noch für die, die Ihn gekreuzigt haben, mit den Worten gebetet hat: „Herr vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun“ (Lukas 23, 34).
Die Liebe Christi, die stärker ist als der Hass und als der Tod, ist die gleichzeitig sanftmütige und allmächtige Liebe Gottes. Diese Liebe wird im Heiligen Geist den Märtyrern weitergegeben, damit in ihnen die Kraft des Kreuzes und der Auferstehung Christi sichtbar wird. Die geistliche Verbindung zwischen dem Opfer Christi am Kreuz, Seinem eucharistischen Opfer und dem Opfer bzw. der Selbsthingabe der heiligen Bekenner und Blutzeugen, die symbolisch im Ritual der Weihe einer Kirche zum Ausdruck kommt, wird vom heiligen Evangelisten Johannes dem Theologen im Buch der Apokalypse unterstrichen, wenn er schreibt: „Ich sah unter dem (Opfer-)Altar die Seelen aller, die hingeschlachtet worden waren wegen des Wortes Gottes und wegen des Zeugnisses, das sie abgelegt hatten. (…) Es sind die, die aus der großen Bedrängnis kommen; sie haben ihre Gewänder gewaschen und im Blut des Lammes weiß gemacht. Deshalb stehen sie vor dem Thron Gottes und dienen Ihm bei Tag und Nacht in Seinem Tempel; und Der, Der auf dem Thron sitzt, wird Sein Zelt über ihnen aufschlagen.“ (Apk 6,9 und 7, 14-15)
Die Bekenner und Märtyrer des Glaubens sind die geistlich lebendigsten und am meisten betenden Menschen vor dem Thron Christi (vgl. Apk 8, 3-4), weil sich in ihnen die Kraft der Liebe am umfassendsten wiederspiegelt, die stärker ist als der Tod. In ihnen hat der lebendige Glaube die Furcht des Todes überwunden. Deshalb nennt die Kirche diese auch „gute und siegreiche Blutzeugen“, und der Gottesdienst zur Weihe einer neuen Kirche ist zugleich eine besondere Verehrung der Märtyrer. Der Kalender des Kirchenjahres enthält viele Namen heiliger Märtyrer und Glaubenszeugen. Wobei im Kalender nur ein Teil der großen Zahl an Märtyrer und Glaubenszeugen der Liebe Christi, die stärker ist als der Tod, enthalten ist.
Die Märtyrer und Glaubenszeugen werden „Sieger“ (Überwinder) genannt, auch wenn sie ihrer natürlichen Existenz nach gestorben sind, weil sie den Geist der Sünde, des Egoismus, der Gewalt und des Bösen besiegt haben. Bei den Märtyrern verwandelt sich die biologische Existenz in eine theologische Existenz, die so besitzergreifende Existenz des Lebens verwandelt sich in die Selbsthingabe, der Instinkt der Selbsterhaltung verwandelt sich in den Elan der Gemeinschaft, die Todesfurcht verwandelt sich in eine „Anzahlung“ (einen Vorgeschmack) der Auferstehung. In den Märtyrern wirkt die Gnade des Heiligen Geistes, die Christus der Herr und Gott der Vater jenen schenken, die Zeugen des Glaubens sind und Recht und Wahrheit lieben und die Verteidiger der erniedrigten oder von der individuellen oder kollektiven Sünde aufgelösten Menschenwürde sind.
Auch zu unseren Zeit wurden Märtyrer und Glaubenszeugen „geboren“, und das Licht ihres Zeugnisses muss mit großer Anerkennung und Verehrung vergegenwärtigt werden, weil es eine Quelle geistlicher Kraft auch im Leben und in der Mission der Kirche heute darstellt.
Die Menge der Glaubenszeugen und Märtyrer in den ehemaligen Ländern des kommunistischen Regimes in Mittel- und Osteuropa mahnt uns, nie zu vergessen, wie groß die Kraft des Opfers ist und wie notwendig das Wirken der Kirche zur Heilung und Erneuerung der Menschheit ist, die von Hass und Gewalt, auch von Diskriminierung und Unterdrückung, von Intoleranz und Indifferenz und weiteren Formen des physischen und geistlichen Todes verletzt wird.
In den Zeiten der kommunistischen Verfolgung in Ost- und Südosteuropa starben viele Bischöfe, Priester, Mönche und Laien in den Gefängnissen oder haben wegen ihres Glaubens gelitten. Dieser Märtyrer und Bekenner des Glaubens und des Kampfes für die Freiheit wird heute in den Gebeten unserer Kirche in der Göttlichen Liturgie regelmäßig gedacht. Das Beispiel ihres Lebens und ihrer Gebete sind eine Quelle der Inspiration und Erneuerung für das Leben unserer Kirche heute. Sie rufen uns heute dazu auf, das Geschenk der Freiheit nicht vom Geschenk des Glaubens und der Heiligkeit des Lebens zu trennen.
Unsere neue Kirche in Salzburg hat als Schutzpatrone auch zwei Märtyrer, und zwar die Heiligen Blutzeugen Epiktet und Astion, deren Reliquien in unserem Land gefunden wurden, im Kreis Tulcea, in der alten Festung Halmyris, in deren Nähe jetzt ein neues Kloster errichtet wird, das diesen Bekennern und Freunden Christi geweiht ist.
Das Opfer und das Vorbild ihres Lebens waren auch die Quelle der Inspiration für die Stifter, die in den Grundstein zu dieser Kirche, die wir heute weihen, Reliquien dieser beiden heiligen Blutzeugen gebettet haben, um sie um ihren Beistand anzurufen für die Errichtung eines Gotteshauses hier und für die Pflege der Gabe des Glaubens, des heiligen Lebens und der opferreichen Liebe.
Heute lehren uns die Heiligen angesichts der Versuchung der Säkularisierung, dass wir die heilige Dimension des menschlichen Lebens vergessen, wenn wir Gott vergessen.
Angesichts der Versuchung, andere zu dominieren, lehren uns die Heiligen, die geistliche Kraft zu entdecken, uns einander zu schenken von dem, was wir sind und haben, und uns Christus zu weihen, Der Sich uns in der Eucharistie hingibt.
Angesichts der Versuchung, uns nach außen voller Selbstliebe zu präsentieren, lehren uns die Heiligen, die Freude zu finden im Erlangen der selbstlosen Liebe Christi für alle Menschen.
Weil sich in den Heiligen das Leben und die Heiligkeit Gottes des Lebendigen und Heiligen spiegelt, leben nur die Heiligen ihr geistlich zur Fülle. Daher wurde in der Kirche der frühen Jahrhunderte gesagt: „Die Heiligen sind (wahrhaft) lebendig. Und die Lebendigen sind die Heiligen.“
Die künstlerische Schönheit der Architektur dieser neuen Kirche, die von der Architektur der rumänischen Holzkirchen in der Maramuresch inspiriert worden ist, in der Form eines Schiffes, des Schiffes unserer Erlösung, mit einem Turm so hoch wie ein Mast, weist uns geistlich auf die ewige Schönheit des Himmelreiches.
„Labor der Auferstehung“ oder „Vorzimmer des Himmelreiches“ genannt, bildet jede orthodoxe Kirche „den Himmel auf Erden“ in einer Präfiguration ab, wie Patriarch Gherman von Konstantinopel sagte, um den Menschen zum Himmel zu erhöhen. Als heiliger Ort der Begegnung mit Gott ist eine geweihte Kirche „Haus Gottes und Pforte zum Himmel“ (Genesis 28, 17).
Als sakraler Raum des Gebets wird die neue Kirche ein Symbol der ganzen Kirche als Versammlung der Gläubigen in der Liebe der Allheiligen Dreifaltigkeit. Durch diese heutige Weihe erweisen sich die neue Kirche und das ganze Rumänische Gemeindezentrum für Kultur und Ökumene für uns als ein Segen Gottes für die Menschen und als eine Opfergabe der Anerkennung (Eucharistie), das die Menschen Gott darbringen.
Der Bau dieser rumänischen Holzkirche in Salzburg ist eines der lebendigsten und jüngsten Beispiele für den Dialog und die ökumenische Hilfe auf praktischer Ebene.
Die Errichtung dieser Kirche wurde möglich durch die gute christliche Hilfsbereitschaft der Benediktinermönche der Erzabtei St. Peter, die sehr großzügig den Baugrund für die Errichtung dieser Kirche zur Verfügung gestellt haben, wie auch der finanziellen Unterstützung durch die Stiftung Propter Homines (Vaduz-Liechtenstein) sowie anderer Förderer aus dem In- und Ausland. Auch Seine Eminenz Christoph Kardinal Schönborn und das Erzbistum Salzburg mit Erzbischof Dr. Alois Kothgasser an der Spitze haben in großem Maße dieses Projekt unterstützt.
Weil diese Pfarrei mit dem Segen unvergessener Patriarchen Rumäniens „geboren“ wurde, sei hier in Demut an Seine Seligkeit Patriarch Justinian Marina erinnert, der 1976 seinen Segen zur Gründung dieser Pfarrei gegeben hat, sowie an Seine Seligkeit Patriarch Justin Moisescu, der 1985 Vater Dumitru Viezuianu zum Gemeindepfarrer ernannt hat. Ein besonderer Dank sei in der Erinnerung an Seine Seligkeit Patriarch Teoctist ausgesprochen, der 2007 den Bau dieser neuen Kirche gesegnet hat.
Gleichzeitig beglückwünschen wir zum Anlass der Weihe dieser Kirche Seine Eminenz Metropolit Serafim von Zentral- und Nordeuropa und den Gemeindepfarrer Dumitru Viezuianu zusammen mit der ganzen rumänischen orthodoxen Gemeinschaft hier vor Ort, die hier segensreich und missionarisch wirkt und von Frömmigkeit und rumänischem Glaubensbewusstsein geprägt ist. Wir beglückwünschen alle Förderer und Helfer beim Bau dieser heiligen Stätte, wie auch alle Priester und Gläubigen, die bei diesem heiligen und feierlichen Ereignis der christlichen Spiritualität und Würde anwesend sind.
Wir beten mit den Gebeten der guten Überwinder und Blutzeugen Epiktet und Astion zu Christus dem Herrn, dem Gekreuzigten und Auferstandenen, diese Kirche zu beschützen und dieser Pfarrei sowie allen, die sie unterstützen und in ihr beten, immer Seine heilige Hilfe und gutes Wachstum zu schenken.
† D A N I E L
Patriarch der Rumänischen Orthodoxen Kirche
Österreich, Samstag, 13. Juni 2009